Vorgestellt: Ein „Neuzeitritter“, der Kinder zum Lachen bringt und Eltern glücklich macht
Ortsblatt 02/2024
Wissen Sie, wer 2001 zur Miss Deutschland gewählt wurde? Wissen Sie, was die beste Medizin ist? Sie können jetzt googeln oder einfach weiterlesen.
Paracelsus stellte vor fast 500 Jahren fest: „Liebe ist die beste Medizin!“ Die Thüringerin Claudia Bechstein, eben einst zur Miss Deutschland gewählt, ließ verlauten: „ Michael Oertel ist für mich ein Neuzeitritter, ein tapferer Kämpfer, einer, der seine ebenso kostbare und wertvolle Zeit Kindern opfert, die manchmal einfach nur etwas Zuwendung oder Abwechslung benötigen.“
Dieser Michael Oertel besucht seit 20 Jahren Kinder im Krankenhaus, seit zehn Jahren schwerst- und langzeiterkrankte Kinder auf der Intensivstation. Im Gepäck hat er seine zauberhaften und verzaubernden Kinderbücher von der Helfe-Elfe Magda, die eigens dafür angefertigten Handpuppen und die dafür komponierte Musik. Damit bietet er den Kindern ein wohltuendes, ja gar heilendes Programm. Dies bringt er an die einzelnen Betten, im eins zu eins.
In den vergangenen zehn Jahren hat der „Neuzeitritter“ ein Mädchen besonders oft besucht. Es ist die heute 12-jährige Emily. Zwanzigmal hat Michael Oertel sie an ihrem Bettchen auf der Intensivstation besucht. „Der Wicht hat mir damals meine Schuhe geklaut!“ erinnert sich lachend das Mädchen, das sich, wie sie sagt, immer wieder auf die Besuche gefreut hat. Der Wicht, das muss man hier erklären, ist nicht der Vorleser, sondern eine Handpuppe aus seinen Geschichten, die er geschickt auf seiner Hand führt.
Die Eltern der Kleinen sind für den fortwährenden Vorleseeinsatz von Michael Oertel sehr dankbar. „Seine Besuche haben uns als Eltern sehr entlastet.“ stellt Emilys Mama fest: „Wir konnten einmal durchatmen, einen Kaffee trinken gehen, wussten unsere Kleine in guten, in lieben Händen!“ fährt sie fort. Und der Papa ergänzt: „Das Programm, die Helfe-Elfe Magda ist für die Kinder so wichtig, weil damit die Kinder in eine Phantasiewelt abgeholt werden, den klinische Alltag für diese Momente vergessen.“ Wie essentiell das ist, versteht man vor allem dann, wenn man weiß, dass z. B. Emily bereits mehr als 30mal operiert wurde. Die Eltern des fröhlichen und immer für einen Scherz aufgelegten Kindes sind sich in dem Wunsch einig: „Michael Oertels Projekt und Engagement braucht vielmehr Unterstützung, damit noch mehr Kinder und Eltern diese wunderbare Hilfe bekommen!“ Eine Äußerung die Emily mit einem energischen Nicken kommentiert. Auch sie hat einen Wunsch, den sich sicher ein Jeder vorstellen kann. Und es gibt noch einen anderen. Den verkündet sich mit leuchtenden Augen: „Wenn das neue Helfe-Elfe-Magda Buch Premiere feiert, dann möchte ich in der ersten Reihe sitzen.“ Das setzt natürlich voraus, dass Emily zu dieser Zeit nicht erneut im Krankenhaus liegt, nicht erneut operiert werden muss. Das wünschen wir ihr und der gesamten Familie, zu der noch vier Geschwister gehören, von ganzem Herzen.
Jetzt hält Emily erst einmal das aktuelle Helfe-Elfe-Magda-Buch in ihren Händen, welches ihr Michael Oertel nach Hause gebracht und geschenkt hat. „Neuzeitritter!“ befinden Emilys Mama und Papa dankbar.
Und so erzählt diese kleine Geschichte mehr, als Google zu erzählen in der Lage ist.
(Oliver Böhnisch)
Warum Vorlesen so wichtig ist
Ortsblatt 03/2021
Vorleser ist kein Beruf, mehr eine Berufung. Das können sicherlich viele Eltern bestätigen, die tagtäglich ihren Kindern Bettgeschichten vorlesen und oftmals selbst darüber einschlafen. Michael Oertel, Autor, Fotograf und Vorleser, war vor Corona mit seinen Kinderbüchern und Handpuppen in der Kinderklinik Leipzig anzutreffen. Warum das für ihn, aber vor allem für die Kinder so wichtig ist, schildert er heute für die Ortsblatt-Leser.
Vorlesen, das ist so eine Art Passion für mich, allerdings ohne Leiden. Wenn ich in die Kinderklinik, ganz konkret auf die Intensivstation gehen kann, meine Kinderbücher, meine Handpuppen, Musik, Geräusche und Bilder im Gepäck habe, den schwerst- und langzeitkranken Kindern Abwechslung, Freude und Seelsorge ans Bett bringe, dann ist für mich die Welt in Ordnung. Für die Kinder ist sie das in dem Moment noch vielmehr! „Lachen und Lieben machen gesund!“ sagt man, und das stimmt. Die Klinikclowns sind mittlerweile bekannt und eine „Institution“. Meine Aufgabe ist so ähnlich, allerdings immer im 1:1, ganz direkt, nur an einem Bett. Da passieren ganz tolle Dinge, nicht nur für die Kinder, sondern auch für deren Angehörige und das klinische Personal. Alle profitieren. Ein bisschen mehr Glück, Freude und Zuversicht. Das „Tagebuch eines Vorlesers“ zeugt davon.
In das allerdings sind seit nunmehr über einem Jahr keine neuen Einträge hinzugekommen. Die Leseeinsätze sind aufgrund der aktuellen politischen Lage ausgesetzt. Die nachweislich heilende Wirkung von Zuwendung, Zuneigung, Liebe, Kunst, Kultur wird der Angst geopfert; pauschal. Und auf der Intensivstation warten die Kinder derweil auf mich, auf uns, warten auf die Helfe-Elfe Magda, ihre Freunde und Erlebnisse.
Zeiten ändern sich. Diese hoffentlich bald, damit wir wieder unserer Passion nachgehen und die kleinen Patienten besuchen können.
Geraubte Kindheit
Kriegskinder erzählen – Friedenspolitisches Bildungsprojekt und Fotoausstellung
Birgit Tragsdorf (publik, 7/2019)
In Leipzig startet am 23. Mai eine Ausstellung mit Fotodokumenten um das Buch „Geraubte Kindheit – Kriegskinder aus vier Nationen erzählen“. Autorin und Herausgeberin des 2014 erschienen Buches ist Liselotte Bieback-Diel, die Ausstellung dazu hat der Leipziger Künstler Michael Oertel konzipiert. Er arbeitet gegenwärtig an deren Umsetzung.
In seiner Studienzeit an der Evangelischen Hochschule Dresden begegnete Oertel der inzwischen emeritierten Professorin Bieback-Diel und lernte ihre Arbeit zu den Themen Kriegskinder und Kriegstraumata kennen. Die Themen haben in nicht mehr losgelassen. „Geraubte Kindheit ist ein Buch voller Fakten, geschichtlicher Betrachtungen, Emotionen, voller Ängste, voller Leid, und dennoch auch voller Freude und Dankbarkeit.“ sagt Oertel. Bereits kurz nach Erscheinen des Buches hatte er daher die Idee, die Texte, in denen 38 Kriegskinder über den 2. Weltkrieg, erlittene Traumata und deren Vererbung auf die nachfolgende Generation berichten, mit aktuellen Portraitfotos zu ergänzen.
Weitsicht und Vergebung erlebt
Da die 38 Kriegskinder aus vier Ländern stammen, fuhr Michael Oertel bereits ins französische Epinay-sur-Seine und nach Lomonossow in die Nähe von St. Petersburg. Eine Reise in den englischen Ort Rushmoor ist für dieses Jahr geplant. Bei den Orten handelt es sich um Partnerstädte von Oberursel, dem heutigen Wohnort von Bieback-Diel. Die Erfahrungsberichte von Oberurseler und Bebenseeer Bürger*innen bildend en deutschen Anteil der Ausstellung.
Oertel fotografierte die inzwischen hochbetagten Frauen und Männer, kam mit ihnen ins Gespräch, hörte ihre Erinnerungen, ihre teils mahnenden Worte und ihre Bereitschaft zur Vergebung. Daraus entwickelte er weitere Formen der öffentlichen Präsentation. Die von ihm konzipierte Ausstellung besteht im Kern aus den Portraitfotos, die mit je einem Zitat aus dem Buch untertitelt, sind. Hinzu kommen Stapelpyramiden: eine mit reproduzierten Fotos der Befragten aus den Kindheitstagen, eine mit zwei Bildschirmen, auf denen Interviews mit den Kriegskindern und Kindern aus der heutigen Zeit zu sehen sind, und eine für gezielte Projektarbeit, die auf künstlerische Art die Fragilität des Friedens symbolisieren soll.
Zusätzlich entstehen didaktische Spiele, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen sollen, die Überlebensstrategien der Kriegskinder nachzuempfinden. Ein Schulprojekt für die Klassenstufen acht bis zehn für jeweils zehn Doppelstunden ist auch schon fertiggestellt. Darin will Oertel mit Kindern und Jugendlichen arbeiten,. Um das Thema Krieg und Frieden aufzunehmen, vor allem aus den Erfahrungen heraus, die noch lebende zeitzeugen vermitteln können. Außerdem hat ein Spieleentwickler ein Computerspiel kreiert, in dem die jungen Leute den Frieden erspielen können.
So entsteht nicht nur eine Wanderausstellung zum Thema Kriegskinder, es ist ein umfangreiches friedenspolitisches Bildungsprojekt entstanden, mit dem Oertel nun an die Öffentlichkeit gehen will. Start ist am 23. Mai im „WolkenSchachLenkWal“, einem Kulturprojekt und Veranstaltungsort in Leipzig-Stötteritz unweit des Völkerschlachtdenkmals. Bei seinem Besuch im russischen Lomonossow im vergangenen Jahr hat Oertel bereits vereinbart, dass die Ausstellung im Sommer 2020 dort gezeigt werden soll.
Michael Oertel ist 1967 geboren und arbeitet als sozialpädagogischer Mitarbeiter an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur. Er ist seit Jahren vielfältig engagiert, war Stadtrat von Leipzig, Betriebsrat, ist ver.di-Mitglied und im Verband deutscher Schriftsteller*innen dabei. ER hat auch in ver.di für das Thema Krieg und Frieden Aufmerksamkeit gefunden. Nun will er die passende Unterstützung und Mitstreiterinnen und Mitstreiter finden, die mit ihm weiterdenken, anpacken beim Ausstellungsaufbau, die Umsetzung des Bildungsprojektes erweitern, koordinieren und finanzielle Hilfe ermöglichen können!
„Ich habe gelernt, mich zu freuen“
Michael Oertel über Edgar, Konsequenzen und die Idee der klassischen Seelsorge
Jens Wagner (SachsenSonntag, 21.01.2018)
Ein grüner Zettel, genauer gesagt ein Rezept – das war für Michael Oertel einst der Anstoß. „Schreib ein Buch, dreh einen Film, mach eine Fotoserie“, dies wurde ihm einst tatsächlich von (hausärztlicher) Seite verschrieben und letztlich zu einem echten Befreiungsschlag.
„Das war die Zeit, in der die Erkenntnis kam – man muss sich auch einmal Zeit für sich selbst nehmen“, blickt er nachdenklich zurück und ergänzt: „früher habe ich immer gedacht, ich könnte die Welt retten. Und in der Zeit der wilden 90er habe ich da auch in vielen konkreten Projekten mitgearbeitet.“ Seinen Ansatz kann Michael Oertel nach wie vor sehr bildhaft beschreiben: „Es mag ein Tropfen auf den heißen Stein sein – aber am Ende wird steter Tropfen den Stein aushöhlen.“
Auf diesem Weg nahm er an unterschiedlichsten Orten die unterschiedlichsten Erfahrungen mit – im Leipziger Stadtrat beispielswiese, in dem er für fünf Jahre saß. Oder in der Bahnhofsmission, die ihm wahre Gänsehauterlebnisse bescherte („Da konnte ich mal sehen, wie aus einem Obdachlosen, der wirklich den Boden unter den Füßen verloren hatte, ein wunderschöner Mensch wurde, weil er ein Weihnachtsgedicht vorgetragen hat.“) Nun, mit diesen Erfahrungen ist die Lust auf eine bessere Welt nicht kleiner geworden, nur die Herangehensweise hat sich geändert.
Denn dieser harte Schnitt vor fast zehn Jahren kam nicht von ungefähr. Ja, es war die Hausärztin, die erwähntes „Rezept“ ausstellte und dies aus krankheitsbedingten Grund.
Und davon beflügelt entdeckte sich Michael Oertel beinahe ein bisschen selbst – die eigene Jugend, die Zeiten, in denen ein schmales Büchlein (gefunden auf dem Dachboden seiner Großeltern) aus ihm einen glühenden Edgar-Allen-Poe-Fan machte. „Eigentlich hatte ich als junger Mensch eine Rechtschreibschwäche“, erinnert er sich: „Da hat mich mein Interesse an Literatur gerettet.“
Und ganz nebenbei dazu geführt, dass für die eigenen jugendlichen Streiche (gern ausgeführt in einer Telefonzelle) eine Kunstfigur namens §Edgar Fleischer“ erschaffen wurde – „der Edgar war natürlich ein Muss“. Jeder Edgar, der wieder auferstanden ist, als Michael Oertel – beflügelt von dem erwähnten Rezept – nach dem Fotoapparat gegriffen hatte, um „einen Blick auf das Thema Armut, auf das Thema Krankheit“ zu werfen. Inzwischen gibt es viele Fotoserien mit der Kunstfigur Edgar, Blicke auf die Welt (Andalusien oder Norwegen), auf Einsamkeit, natürlich auf Außenseiter. Und auf „geraubte Kindheiten“, jenes Projekt an dem Michael „Edgar“ Oertel gerade arbeitet.
Dieses ist wahrscheinlich bemerkenswert: Angeregt von dem gleichnamigen buch von Professorin Liselotte Bieback-Diel über das Leid der Kriegskinder-Generation in Frankreich, Russland und England machte er sich auf Spurensuche. Und fand Wunderbares wie die Französin Denise, die trotz ihrer – im wahrsten Sinne des Wortes“ – geraubten Kindheit bis heute eine große Lebensfreude ausstrahlte. „Dieses Projekt muss ich och abschließen“, berichtet er von seinen anstehenden Reiseplänen nach Russland: „Und außerdem sollte ich mein drittes Kinderbuch noch schreiben.“
Das Wörtchen „noch“ kommt nicht von ungefähr – Michael Oertel deutet an, dass sich seine Phase der Kreativität dem Ende zuneigt. „Ich bin ein sehr konsequenter Mensch“, meint er mit einem Lächeln. Und er erzählt davon, was er mitgenommen hat aus dieser Zeit der Bücher, der Fotografien, der Filme: „Ich habe gelernt mich zu freuen – gerade auch über die kleinen Dinge. Und mich vorzufreuen.“ Mit dem blick auf das Thema „bessere Welt“ ergänzt er: „Man muss die Dinge sehen, wie sie sind. Aber man muss sich auch verändern wollen.“
Im Gespräch über Inspirationen, über Motivationen erzählt er zum Schluss noch wahrlich Spannendes. Von seinem Vater, dem Pfarrer, der als „guter Hirte gewirkt hat. Ich glaube, diese Idee einer klassischen Seelsorge, die mich ja auch beflügelt, habe ich von ihm mitgenommen.“ Und sicherlich auch seinen Blick auf die Armut., die Außenseiter, die Verrückten (die im Titel des Buches „Edgars Welt“ auch auftauchen): „Ein Pfarrer in der DDR war nun wahrlich nicht wohlhabend – aber an unserem Tisch war immer ein Platz für Menschen, die Hunger hatten.“ In seinem neuen Buch „Blackbox fürs Leben“ hat er nun viele seiner Erfahrungen aufgeschrieben, gesammelt, festgehalten Ja, er möchte weitergeben, verstehen und damit helfen: „Nun, dies mag selbstlos erscheinen“, erklärt Michael Oertel mit einem Lächeln: „Aber ich bin von der Idee überzeugt, dass alles, was man in das Universum abgibt, eines Tages auch wieder zu einem zurückkommt.“ Sprach’s und trank einen Schluck von dem sonntäglichen Kaffee aus Peru der er für sich entdeckt hat: „Richtig guter Kaffee ist schließlich ein unbedingtes Muss am Morgen.“
Edgars Feiertage
Lebendig, fröhlich, traurig – die Fotoschau von Multitalent Michael Oertel im Wiederitzscher Rathaus
VON ANDREA RICHTER (LVZ vom 30.11.2016)
„Edgars Feiertage!“: Michael Oertel präsentiert im Rathaus Wiederitzsch unter anderem ein Foto von Tochter Magdalena. Foto: André Kempner
Wiederitzsch. Jedes Bild überrascht. Doch der Betrachter muss schon sehr genau hinschauen, um das Eigene der Fotos zu entdecken. Genau das möchte Michael Oertel, der mit seiner neuen Ausstellung „Edgars Feiertage!“ Menschen berühren, öffnen, bewegen und nicht zuletzt einander näherbringen will. „Dank der technischen Möglichkeiten rückt die Welt immer näher zusammen. Zugleich aber scheinen sich die Menschen mehr und mehr voneinander zu entfernen“, sagt der Fotograf, Autor und Sozialpädagoge.
Wer ist nun dieser Edgar und um welche Feiertage geht’s überhaupt? Edgar – den Namen hat der Künstler aus der Kindheit hinübergerettet in sein Dasein als Erwachsener. Aus der Zeit, als er mit Vorliebe Edgar Allan Poe las. Eine Reminiszenz also an die früheste Jugend. „Es ist eine Kunstfigur, die die Dinge des Lebens etwas anders sieht“, erläutert Oertel. Und seine Feiertage – das sind ganz besondere, wie auch die Fotos besonders sind. So wird der Tag der Freundschaft mit Teddybären und Puppen ins Bild gesetzt. Lustig auch der Umgang mit dem Welttoilettentag. Zu ihm gibt’s den schönen Spruch: „Zieh, wenn Du kannst“.
Auf die Feiertage kam Oertel, als er nach einem Motto für seinen alljährlichen Kalender suchte. „Wir hatten da gerade den Tag des Kusses und so entstand die Idee, das Thema fotografisch umzusetzen“, erzählt er. Doch es geht nicht nur humorvoll zu in der Reihe der Bilder: Lachen und Weinen liegen dicht bei-einander. So befasst sich der 49-Jährige auch mit dem Tag der Suizidprävention. Zunächst erkennbar: ein Mädchen auf einer Wiese. Erst beim näheren Hinsehen zeichnen sich im Hintergrund die Umrisse eines Grabsteins ab.
„Und wie steht es um unsere Vorurteile?“, fragt der Fotograf. Ein hübsches junges Mädchen strahlt den Betrachter an. Das soll wirklich der Beitrag zum Tag der Menschen mit Behinderung sein? Es ist Magdalena,22 Jahre alt und Michael Oertels Tochter, schwerst behindert und dennoch ein fröhlicher junger Mensch. Seine ältere Tochter Theresa, nicht minder hübsch, macht den Tag des Linkshänders lebendig, ein roter Drahtesel – in Kopenhagen an einer Mauer entdeckt – den Tag des Fahrrades. Zum Tag der verlorenen Socke wird deren Beerdigung im Bild festgehalten.
Tochter Magdalena war es im Übrigen auch, die ihn zu seinen Geschichten über die „Helfe-Elfe“ inspirierte. Obwohl sie selbst auf Hilfe angewiesen ist, liebe sie es, anderen Menschen zu helfen, sagt Oertel. Und „helfe“ sei eines der wenigen Wörter, die Magdalena aussprechen kann. Daraus seien dann die Bücher über die Helfe-Elfe Magda entstanden, aus denen er in Kindergärten oder auf Kinder-Krankenstationen vorliest.
Kunst und Kultur sind Oertel seit jeher wichtig. Er sang in der Kurrende, in einem Chor, lernte Konzertflöte, spielte viele Konzerte und auch Rundfunkaufnahmen, musizierte in einer Band, zeichnete und landete schließlich beim Schreiben und Fotografieren. Auch beruflich gibt die Biografie des Mitarbeiters an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur viel Spannendes her. Er versuchte, den Beruf des Kfz-Schlossers zu erlernen, wurde Verwaltungsfachangestellter und studierte dann Sozialpädagogik und -arbeit. Dazwischen lagen Stationen als Rohrschweißer, Hausmeister, Bürgerberater, Bestatter. Oertel engagierte sich in der Gewerkschaft, saß als Stadtrat in der Leipziger Ratsversammlung und gründete einen Verein für Kinder mit und ohne Behinderungen.
Im Gästebuch auf seiner Website wird ihm eine „Sucht nach Sinn und Unsinn und ein unaufhaltsamer Strom von Gefühlen“ bescheinigt. „Wer dich als Menschen treffen durfte, ist hinterher lebendiger, frecher, froher und vielleicht sogar etwas getröstet“, heißt es dort. Die Ausstellung im Rathaus Wiederitzsch, Delitzscher Landstraße 55, vermittelt davon einen kleinen Eindruck – und das bis zum 20. Januar 2017.
Wir scheinen uns mehr und mehr voneinander zu entfernen.
Ein Plädoyer für die Geduld
Der Leipziger Autor Michael Oertel hat sein zweites Kinderbuch herausgebracht – eine neue Geschichte von der „Helfe-Elfe“
Angelika Raulien (Leipziger Volkszeitung, 27. Juli 2016)
Der Mann ist ein Tausendsassa. Er war vor Ort schon Stadtrat der Bündnisgrünen, Jugendclubchef in der Eisenbahnstraße, Leiter der Bahnhofsmission, Mitarbeiter beim Allgemeinen Sozialdienst der Stadt und Initiator vieler Projekte, die vor allem auf das Miteinander von behinderten und nichtbehinderten Kindern abzielten, wie etwa dem Verein Mehrweg e. V: der Leipziger Michael Oertel. Aktuell ist der 49-jährige im Praxisreferat der HTWK-Fakultät für Architektur und Sozialwissenschaften tätig. Vor allem ist er aber in den letzten Jahren auch als Autor und Fotograf unterwegs- und hat jetzt sein zweites Kinderbuch herausgegeben. „Helfe-Elfe Magda in den Rocky Mountains“. Zauberhaft illustriert von der in Leipzig geborenen und mittlerweile – der Liebe wegen – in Auckland lebenden Grafikerin Juliane Kuhnt.
Die beiden waren auch schon für Kinderbuch Nummer 1 – „Helfe-Elfe Magda in Ostfriesland“, erschienen 2010, ein Gespann. Inspiriert hatte Oertel, Vater von drei Kindern, dessen jüngste, behinderte Tochter Magda. War darin die kleine gewitzte Helfe-Elfe ein rund um die Uhr fröhlich-himmlisches Wesen, das jedermann in brenzligen Lagen helfend zur Seite fliegt, benötigt sie im Folgebuch eher selbst Beistand. Sie sucht ihren ausgewanderten lieblings-Wicht, schwirrt dafür sogar von ihrem Zauberwald über den Ozean gen Rocky Mountains. Da angekommen, sind es vor allem zwei, die sie unterstützen. Eichhörnchen Bruno und der gleichfalls vor Ur-Zeiten ausgewanderte Tankstellenwärter Great Heiner. Letzteren tauften die Einheimischen so, weil er aus dem sächsischen „Großen-Hain“ stammt. Great Heiner erinnert sich gern an Großmutter Walburga. Deren Weisheit „Das braucht Zeit und du Geduld!“ wird bei Magdas Wichtsuche schon so etwas wie tröstendes Leitmotiv. „Wann auch immer: In der Ruhe liegt die Kraft. Und so findet die Helfe-elfe vielleicht auch ihren Lieblings-Wicht“, lässt Oertel verschmitzt lächelnd für alle, die’s noch nicht gelesen haben, den Ausgang der Geschichte offen.
Die wird nicht zuletzt mit einer fürs kindliche Verständnis klaren, bildhaften Sprache befördert, mit dem neugierigen Blick aus der Perspektive einer träumerischen Fabelwesenwelt auf die Menschenwelt, deren Zeitabläufe nach Uhren ticken, die Tankstellen haben und den Tieren Namen gaben. Und wo so Fragen aufschlagen wie: „ Warum nannten sie das Eichhörnchen Eichhörnchen, wenn es doch gar kein Horn hat?“
„Mit dem Kinderbuch wirbt der Autor für Solidarität, Zusammenhalt und dafür, sich zeit zu nehmen und Geduld zu haben“, heißt es in einer Ankündigung. Was – wie hinzuzufügen ist – ohne den pädagogischen Zeigefinger gelingt. Und von daher das Buch auch lesenswert für alle macht, die den Kinderschuhen entwachsen und in die aufreibenden Mühlen des Alltagslebens geraten sind. Denn eine Botschaft heißt wohl auch: „Es lohnt sich im Leben, hier und da der Hektik abzusagen, sich überraschen zu lassen. Es gibt Zufälle – es ist an jedem selbst, etwas aus ihnen zu machen!“ Oertel, von der ursprünglichen Profession Kraftfahrzeugschlosser, Verwaltungsfachangestellter sowie diplomierter Sozialpädagoge (und überdies Leipzigs Familienfreundlichkeits-Preisträger 2015, Courage-Preisträger 2015 und Agenda-Preisträger 2021), erfreut mit den helfe-Elfe-Geschichten als Vorlesepate bereits junge Patienten auf der Intensivstation der Unikinderklinik.
Erstmals öffentlich vorgestellt wird das Buch, das – trotz schnuckligen Hochglanzpapiers einen schönen stabilen Einband verdient hätte – allerdings erst später. Erst am 8 Oktober um 17 Uhr im Kulturbetrieb „WolkenSchchLenkWal“ im Friedhofsweg 10. Great Heiner würde sagen: „Das braucht zeit und du Geduld!“
„Man kann das Schlimme sehen oder optimistisch sein.“
Kinder auf der Intensivstation: ein Kampf gegen die Krankheit, ein Leben zwischen Maschinen und medizinischen Therapien. Michael Oertel bringt als Geschichtenerzähler Abwechslung in ihren Klinikalltag.
Clemens Behr (NEUE STADT, Mai 2016)
Marina, vier Jahre alt, liegt in ihrem Krankenbett, als Michael Oertel in das Zimmer auf der Intensivstation kommt, und rührt sich nicht. Kann sie auch nicht, weil sie von oben bis unten eingegipst ist. Will sie aber auch nicht. Zu niemandem nimmt sie Kontakt auf, hatte die Krankenschwester vor der Tür gesagt. Sie liege nur da. Die Schwester wisse nicht, ob die Kleine überhaupt etwas wahrnehme.
Marina war kerngesund und lebensfroh, bis ihre größere Schwester sie aus dem vierten Stock warf. Sie rang mit dem Leben, hat überlebt, wird aber bis ans Lebensende schwerstbehindert sein. Ihre Eltern sind wegen des Vorfalls in der Psychiatrie. „Wie ich mich auch drehte und wendete, sie ließ sich nicht in die Augen schauen“, erinnert sich Michael Oertel. Er lese ihr eine Geschichte und spiele dazu Musik vor, erklärte er dem Mädchen. „Und du kannst ja dann zwinkern, lächeln oder aber weghören.“
Michael Oertel trägt das von ihm verfasste Kinderbuch von der immer hilfsbereiten, fröhlichen „Helfe-Elfe Magda in Ostfriesland“ vor, die sich aus ihrem Zauberwald wagt. Weil sie von ihrem Lieblingswicht einen Zauberstab bekommen hat, denken alle fälschlicherweise, sie könne zaubern. In Ostfriesland lernt sie einen schusseligen Leuchtturmwärter kennen, der seinem selbst verursachten Pech jedoch immer etwas Positives abgewinnen kann. „Zum Beispiel reißt ihm der Beutel mit Blumensamen auf, den er seiner Frau mitbringen soll“, fasst Oertel die Geschichte zusammen. „Er merkt aber erst kurz vor der Haustür, dass er unterwegs alle Samen verloren hat. Seine Frau wird böse sein, er aber denkt sich: ‚Ist doch nicht so schlimm. Da wachsen die schönen Blumen entlang des Weges. Und darüber freuen sich dann viele!’ Andere Leute ziehen also Nutzen aus seiner Tollpatschigkeit. Eine Münze hat eben immer zwei Seiten: Man kann das Schlimme sehen oder optimistisch sein.“ Auf der Suche nach ihrem besten Freund, dem Wicht, braucht die Helfe-Elfe selbst Hilfe. „Ein Geben und Nehmen“, erläutert Oertel. „Die Geschichte will vermitteln, dass man auf sein Herz hört und sich auf das Menschliche besinnt. Sie ist ursprünglich für unsere schwer behinderte Tochter entstanden. Das Buch will auch zeigen, dass jeder andere Fähigkeiten hat – ein Plädoyer für ‚anders begabte Menschen’.“
Die Geschichte ist schon fast zu Ende. Von Marina noch immer keine Reaktion. Erst beim Lied des Leuchtturmwärters ein Lachen. „Als ich gefragt hab: Soll ich´s nochmal spielen?, hat sie wieder gelacht. Dann wollte ich wissen: Soll ich wiederkommen? Da hat sie erst gelacht, dann geweint. Zumindest war klar, dass sie etwas mitbekommen hat.“
Die Mädchen und Jungen, die Michael Oertel besucht, liegen nicht von ungefähr auf der Intensivstation. Manche wurden mit Behinderungen geboren, andere hatten einen Infarkt und eine Herz-OP: „also eine breite Palette von langzeitkrank bis Unfallopfer.“
Emily ist viereinhalb Jahre alt und Zeit ihres Lebens im Krankenhaus. Ihr fehlt der Darm. „Einzelne Tage ist sie schon mal zu Hause gewesen. Versuche mit einer 24-Stunden-Intensivpflege sind aber immer wieder gescheitert.“ Für jede der Charaktere aus der Helfe-Elfe-Geschichte hat der Sozialpädagoge, der die Kinder in seiner Freizeit besucht, eine Handpuppe. Vom Wicht oder dem neunmalklugen Maulwurf, der überall seinen Senf dazugibt, lassen sich einige Kinder leichter ansprechen. Sie helfen, das Eis zu brechen. Oertel setzt außerdem Bildkarten und Ausmalblätter ein; für jede Figur hat ein Freund ihm eine Erkennungsmelodie komponiert, die er per DVD-Player vorspielen kann. Was er einsetzt, entscheidet er aus dem Bauch heraus: „Einige Kinder wollen einfach nur zuhören. Andere brauchen eine Puppe, um sich mitzuteilen.“ Je nachdem, welche Bücher oder Spielsachen er vorfindet oder was das Kind von sich erzählt, baut Michael Oertel etwas Persönliches in die Geschichte ein: Hat er es mit einem Fußballfan zu tun, dann spielt der Maulwurf gerne Fußball. Gab es beim letzten Kindergeburtstag Quarkkuchen, wird dem Leuchtturmwärter auch einer gebacken. Emilys Herz jedenfalls hat der Vorleser schnell erobert, obwohl er sich aus Gründen der Keimfreiheit einen gelben Plastikoverall überziehen musste und mit Emily nur durch die Gitterstäbe ihres Bettchens sprechen konnte.
Die meisten Kinder freuen sich über den Besuch, sind anfangs höchstens etwas reserviert. „Sie haben außer zu Angehörigen und Klinikpersonal ja keinerlei Kontakte. Da ist es toll, wenn im durchstrukturierten, mit Schmerzen verbundenen Alltag jemand extra für sie kommt. Das genießen sie.“ Der Vorleser hatte aber auch schon mit Ablehnung zu kämpfen: Das sechsjährige Kind eines Geschäftsführers besaß ein Tablet und alle möglichen elektronischen Spielzeuge. „Das war vollkommen maßlos und vermessen. Wahrscheinlich bin ich ihm tierisch auf die Nerven gegangen mit meinem Buch.“
Berat, Sohn eines Türken und einer Deutschen, war mit 13 Jahren schon zu alt für Kindergeschichten. Aber der Krankenschwester zuliebe ließ Oertel sich darauf ein. „So sehr die Schwester Berat auch bekniete, der freche Bengel hatte keine Lust: ‚Heute? Leider nein!’ Mit einem dahergelaufenen Märchenonkel wollte er sich nicht abgeben.“ Oertel redete ihm gut zu und verabredete, dass Berat ihn jederzeit mit einem „Stopp“ unterbrechen könne. „Und dann sind wir ganz dicke Freunde geworden. Ich lasse immer ein Buch oder eine CD als Geschenk da, das können sie sich aussuchen. Er entschied sich für das Buch, aber nicht für sich – er ist ja schon viel zu groß! -, sondern für seine kleinen Cousinen, wenn sie ihn im Krankenhaus besuchen kommen.“
Etwa alle vierzehn Tage zieht Oertel los in die Leipziger Uni-Klinik. Die Besuche strengen ihn körperlich und psychisch an: „Im Sommer bin ich danach klitschnass!“ Aber die Reaktionen der Kinder sind es ihm wert. „Oft bin ich nur einmal bei einem Kind. Als ich das zweite Mal zu Marina kam, rang die Bezugsschwester ganz gerührt nach Worten vor Freude darüber, wie sehr sich das Kind verändert hatte: Sie, die die ganze Welt und sich selbst aufgrund ihrer Geschichte hasste, schaute die Schwester jetzt an, trank bereitwillig und nahm ihre Anweisungen wahr.“
Von dem Wandel konnte sich Oertel selbst überzeugen. Marina empfing ihn schon plappernd: „Du erzählst mir jetzt was von der Helfe-Elfe. Die war nämlich im Zauberwald…“ Die ganze Geschichte konnte sie nacherzählen; bei der Musik summte sie mit. Oertel ging noch ein drittes Mal zu ihr. Aber gegen Ende der Geschichte hörten ihre Augen auf zu leuchten und ihre Stimmung kippte: „Offensichtlich wurde ihr bewusst, dass die schöne Geschichte vorbeigeht, ich sie wieder verlassen muss und sie dann wieder ihrem Elend überlassen bleibt. ‚Bitte, geh!’, hat sie gesagt und bitterlich geweint.“
Michael Oertel präsentiert sein neues Kinderbuch
Großenhain: Buchpremiere in Deutschlands ältester Volksbücherei und Abendlesung
Sächsische Zeitung 25. April 2016
Zur großen Buchpremiere wird für Dienstag, den 26. April 2016, 10 Uhr in die Karl-Preusker-Bücherei am Neumarkt 1a eingeladen. Dabei präsentiert der Leipziger Fotograf und Autor Michael Oertel sein neues und bildgewaltiges Kinderbuch mit dem Titel „Helfe-Elfe Magda in den Rocky Mountains“ – ein Buch, in dem der Autor dafür wirbt, genauer hinzusehen und hinzuhören.
Die kleine „Helfe-Elfe“ lebt in einem Zauberwald am Zauberteich, kennt eigentlich nichts anderes, als den ganzen Tag fröhlich zu sein und zu helfen. Manches Mal aber wird sie traurig, immer dann, wenn sie an ihren Freund, den Wicht denkt. Den beschließt sie eines Tages zu suchen, ja sogar zu besuchen. Jetzt braucht sie selbst Hilfe. So bricht sie auf in die Rocky Mountains, trifft dort das Eichhörnchen Bruno und den Tankstellenwärter Great Heiner, der sagt immer: „ Das braucht Zeit und du Geduld.“ Egal zu welcher Tages- oder Jahreszeit: in der Ruhe liegt die Kraft. Und so findet die Helfe-elfe vielleicht auch ihren Wicht.
Das Kinderbuch ist durchgängig durch die Künstlerin Juliane Kuhnt (Christchurch/NZL) bebildert worden. Es ist die bereits zweite Geschichte von der „Helfe-Elfe“, die im ersten Teil in Ostfriesland unterwegs ist, wobei der Autor mit dem Buch u. a. aktiv auf der Intensivstation der Universitätskinderklinik unterwegs ist, was ihm schon diverse Auszeichnungen einbrachte.
Die Lesung in der Großenhainer Bücherei wird mit einer Diashow und Musik zu den Hauptcharakteren aus dem Buch komplettiert. Im Anschluss an die Lesung können Bücher und CD käuflich erworben werden, natürlich original signiert.
Und ab 19 Uhr heißt es dann noch „Literarische haute Cuisine in fünf Gängen“ … – dann nämlich liest Michael Oertel aus seinen anderen Büchern.
(Mit Verstand, Humor und ganz eigenem Hintersinn regt Michael Oertel sein Publikum zu gründlicheren Überlegungen und Betrachtungen an. Er fordert es auf, Dinge infrage zu stellen, über den Tellerrand genau hinzuschauen und auch den unsichtbaren Motiven Beachtung zu schenken.)
Der Unerschütterliche
Nora Große Harmann (Sag was, 10. Dezember 2015)
In Leipzig träumt ein Mann von einer besseren Welt. Michael Oertel hat Großes vor: Er baut einen alten Rummelwagen zum „mobilen Kulturbetrieb“ um. Das Gefährt soll Theater, Musik und Literatur in die ländlichen Regionen Sachsens bringen – und Flüchtlingen eine berufliche Perspektive bieten.
Michael Oertel ist ein Mann, der nicht aufgibt. Ein Mann, der die Dinge positiv sieht. Sogar seinen Schlafstörungen kann er etwas abgewinnen: „Ich habe mehr Zeit, und ich schaffe mehr.“ Oertels Mission ist, die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen. Wenn er schon nicht das Klima retten, die Finanzkrise stoppen oder den Krieg in Syrien beenden kann, dann kann er doch zumindest dort etwas tun, wo er zu Hause ist: in Sachsen.
Deshalb ist der 48 Jahre alte Oertel ständig auf Achse. Er liest Kindern im Krankenhaus Geschichten vor, fährt mit behinderten Menschen Tandem und hilft psychisch Kranken beim Wiedereinstieg in den Beruf. Alles ehrenamtlich, versteht sich. 2002 haben er und sein Freund Robert Götze den Verein Mehrweg in Leipzig gegründet. Dessen Ziel ist, Menschen in ihrem Alltag zu unterstützen, und das unabhängig von Alter, Aussehen, Herkunft oder Geschlecht.
„Konfrontative Integration“
Oertel hat seit Kurzem ein neues Projekt. Es heißt „Plattform“ und ist ein 24 Quadratmeter großer, alter Rummelwagen. Dieser steht leicht versteckt zwischen Bäumen und Sträuchern auf dem Gelände des Vereins, das Völkerschlachtdenkmal ist direkt gegenüber.
Götze hatte den Wagen vor Jahren gekauft, für sich, als „Wohnung auf Rädern“. Doch dann zog er in ein Bauernhaus, der Wagen stand leer. Die beiden Männer hatten die Idee, dass der Wagen als eine Art „mobiler Kulturbetrieb“ genutzt werden könnte. Musiker, Schriftsteller und Theaterschauspieler fahren mit ihrer Kunst auf das Land, dorthin, wo Jugendclubs seit Jahren geschlossen sind, und wo es kaum noch kulturelle oder bildungspolitische Angebote gibt.
„Drei Jahre haben wir am Wagen herumgefrickelt, Konzepte entworfen, überlegt, wie wir das Projekt realisieren können“, erzählt Oertel. Dann kam die Flüchtlingswelle und mit ihr Idee Nummer Zwei: Die „Plattform“ als Arbeitsplatz für geflüchtete Menschen. Flüchtlinge könnten den Wagen samt Oldtimer-LKW fahren und die Künstler auf ihren Touren begleiten. Zwanzig Stunden pro Woche, ein Jahr lang, mit Arbeitsvertrag.
Oertel nennt das „konfrontative Integration“. „Die Menschen, die montags zur Pegida gehen und gegen Flüchtlingsheime demonstrieren, kommen meist aus Städten und Gemeinden, in denen es so gut wie keine Ausländer gibt“, erklärt er. „Wenn wir in ihre Dörfer kommen mit unserem Wagen, und sie sehen, dass die Geflüchteten Menschen wie du und ich sind – vielleicht ändert sich dann etwas in ihren Köpfen.“ Oertel hat es satt, sich ohnmächtig zu fühlen. Kriegsmeldungen, Flüchtlingskrise, Fremdenfeindlichkeit: „All das treibt mich an, Dinge selbst in die Hand zu nehmen.“
Via Crowdfunding soll die „Plattform“ ins Rollen gebracht werden. (Foto: Nadine Dietrich)
Steter Tropfen höhlt den Stein
Man könnte diesem Mann, der neben seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten als Sozialpädagoge an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig arbeitet und nebenbei auch noch schreibt und fotografiert, naiven Idealismus unterstellen.
Sein Engagement sei doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, bekommt er oft zu hören. Dass er sich viel vorgenommen hat, weiß Oertel. „Aber ich sage solchen Zweiflern immer: Steter Tropfen höhlt den Stein.“
Bis Oertels Traum Wirklichkeit wird, muss er noch so manchen Stolperstein aus dem Weg räumen. Noch vor drei Jahren sah der Rummelwagen aus, als würde er bald auseinanderfallen. Das Dach war undicht, die Stahlkonstruktion von Rost überzogen, das Holz morsch durch Wind und Wetter. „Das war ein einziges Wrack“, erinnert Oertel sich.
Peu à peu haben er, Robert Götze und ein paar Helfer den Wagen saniert, Einzelteile ausgetauscht, die Wände in frischem Blau gestrichen, solide Fenster eingebaut. „Nur neue Reifen, die bräuchten wir noch“, sagt Oertel. „Und eine Zweikreisbremsanlage, das wäre schön.“
Geld durch Crowdfunding
Es fehlt an Geld, auch für die Bezahlung der Flüchtlinge. Im vergangenen Jahr habe er gefühlt hundert Stiftungsanträge ausgefüllt, Telefondrähte heiß geredet, bei potenziellen Sponsoren sein Projekt vorgestellt, so Oertel. „Aber als so kleiner Verein an öffentliche Gelder zu kommen, ist schwierig.“
Eine Crowdfunding-Kampagne soll’s nun richten. Mit Hilfe einer Gruppe von Medienmanagement-Studenten der Hochschule Mittweida wurde ein Werbevideo gedreht, ein Konzept geschrieben, Spendergeschenke ausgedacht. Insgesamt müssen 27.600 Euro zusammenkommen. „Die Summe brauchen wir, um zwei Flüchtlinge ein Jahr lang bezahlen zu können“, so Oertel.
Bisher sieht es nicht so rosig aus. Seit dem Start der Kampagne am 31. Oktober sind nur knapp 3.000 Euro zusammengekommen. „Viele Menschen finden unser Projekt toll. Ein mobiler Kulturbetrieb, unbürokratische Arbeitsplätze für Flüchtlinge – das klingt doch super! Aber dass jemand dafür in die Tasche greift, ist dann doch eher die Ausnahme.“ Oertel vermutet, dass das auch an den unzähligen anderen Projekten auf den Funding-Webseiten liegt. „Jeder macht heutzutage Crowdfunding.“
Bis zum 13. Dezember kann noch gespendet werden. Wenn die nötige Summe nicht erreicht wird, soll der Rummelwagen trotzdem rollen, allerdings dann ohne Flüchtlinge. „Wir machen weiter, irgendwie.“
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Nora Große Harmann
Nora Große Harmann ist freie Journalistin und Filmemacherin und lebt in Leipzig. Sie berichtet für den MDR, den SWR und DRadio Wissen – hauptsächlich über Themen rund um Toleranz, Religion und Nachhaltigkeit.
Großenhain fürs Kinderzimmer
Michael Oertel ist der Enkel des bekannten Komponisten Herbert Gadsch. Der Leipziger bringt seine Geburtsstad in ein Märchenbuch
Katharina Krüger-Mlaouhia (Sächsische Zeitung, 16. Juni 2015)
Ganze drei Tage hat der Leipziger in Großenhain gewohnt – nämlich nach seiner Geburt in der Röderstadt. Dann zogen die Eltern nach Graupa. Doch der Kontakt ist nie abgerissen. Und so erinnert sich Michael Oertel, Jahrgang1967, noch sehr gern an die engen und verwinkelten Gassen. Und an den Kupferberg, der für ihn und seinen Freund Holm ein Abenteuerberg war. Wo man den Ranzen im Laub verstecken und Räuber und Gendarm spielen konnte. Oder Tiere beobachten. „Ich nannte mich Markus Braun – wie der erste Bergmann Großenhains“, zitiert Michael Oertel einen Tankstellenwärter aus Großenhain, der in den Rocky Mountains lebt.
Das ist natürlich nur Fantasie. Doch im Fortsetzungs-Kinderbuch des Leipziger Autoren hat es Charme, die kleine Stadt und das große Gebirge zusammenzubringen. „So kann man Globalisierung darstellen“, meint Oertel schmunzelnd. Auch der Tornado wird vorkommen im nächsten Kinderbuch, bei dem sich wieder alles um die Helfe-elfe Magda drehen wird. Mit seinem berühmten Großvater Herbert Gadsch, der am Friedhof wohnte, ist der Enkel Michael oft über denselben spaziert. Dann hat der Tornado die meisten Bäume hier umgeworfen. Das hat auch den Leipziger berührt. Kurz darauf ist sein Großvater hochbetagt verstorben. „Die Stadt hat mich schon geprägt“, meint der Autor, der eigentlich Sozialarbeiter ist. „Ich wollte meinem Ursprung ein Denkmal setzen.“
Sieben Bücher stammen mittlerweile aus der Feder des Leipzigers. Er begann zu schreiben, als er dringend einen Ausgleich zu seiner Arbeit – erst im Jugendamt und nun in der Diakonie – brauchte. Soziale Themen stehen jedoch auch in den Büchern im Mittelpunkt. Seine Helfe-Elfe-Geschichte liest Michael Oertel in Kindereinrichtungen und vor kranken Kindern auf der Intensivstation einer Klinik vor. Es gibt sogar ein Hörbuch mit Musik dazu. Der musikalische Einfluss des bekannten Opas ist also geblieben. Der Leipziger fotografiert ebenso gern.
Und nun liest er also zum allerersten Mal öffentlich in der Preusker-Bücherei ein Kapitel aus seinem neuen Manuskript „Die Helfe-Elfe Magda in den Rocky Mountains“. Er hat die Helfe-elfe Magda als Handpuppe aus Filz mitgebracht. Über fünf Ecken ist er an dieses schöne Unikat gekommen. Auch einen Notenständer für sein Buch hat er dabei, einen alten Koffer und einen CD-Spieler. Ganz entzückt ist der 48-jährige aber über die Dekoration in der Bibliothek. „Das ist die liebevollst eingerichtet Bücherei, in der ich je gelesen habe“, lobt der Autor. Er wird nicht müde, die Kinder zum Schmökern und Nutzen der Einrichtung zu animieren. „Lesen bildet, da haben eure Lehrer und Eltern schon recht“, sagt er etwas dozierend. Hoffentlich stimmt das mit dem Bilden auch, wenn in fernen Kinderzimmern demnächst über den Hain von Großenhain vorgelesen wird, und die Menschen sich dann fragen: Wo liegt denn das?
Kathrin Schäfer von der Bücherei ist schon mal ganz stolz darauf, dass die Stadt in einem weiteren Kinderbuch vorkommt. Großvater Herbert Gadsch hat seine Heimatstadt ja in der DDR schon ziemlich bekannt gemacht, und er war auch bekannt mit dem Schriftsteller James Krüss – hat die Geschichte vom Klipperstorch von Großenhain von ihm vertont. Michael Oertel ist jedoch bescheiden. „Meine Themen werden keine Bestseller“, meint er und lacht.
Reichtum abseits der Villa
LESUNG: Der Leipziger Michael Oertel stellt „Edgars Welt“ in Köthen vor. Das Buch ist eigentlich ein Projekt und eine ungewöhnliche Annäherung an das Thema Armut.
Katrin Koack (Mitteldeutsche Zeitung, 04. Juni 2015)
Das Buch, verriet Michael Oertel gleich zu Beginn seiner Lesung, habe er nicht selbst geschrieben. Und doch gäbe es „Edgars Welt“ ohne den Leipziger nicht. „Eine Liebeserklärung an die Armut, das Verrücktsein und dich!“ lautet der Titel des Werkes weiter, das Oertel und sein Mitleser Thomas Adler aus Dresden am Rande des Sachsen-Anhalt-Tages im Haus Erdmenger vorstellten. Eingeladen zu dieser „Andacht“ hatte die Neue Fruchtbringende Gesellschaft und bot den Gästen einen „Kontrapunkt zum bunten Treiben“, wie die Vorsitzende Uta Seewald-Heeg zusammenfasste.
Eine Andacht zu sehr philosophischen Fragen. 2Was ist für sie Armut, Reichtum und Liebe?“ Diese Fragen und die Antworten dazu lasen Oertel und Adler im Wechsel. „In Mülltonnen nach Essen zu suchen.“ Oder „Krankheit, keine Freunde, keine Familie“, waren Antworten auf die Frage zur Armut. „Reich ist, wer gesund ist“ oder „PS-starke Autos, Villa und Pool“ lauteten die Antworten auf die Frage nach dem Reichtum. Und Liebe war für den einen „ein erfundenes Gefühl der Frau“ oder aber „das Schönste, was ein Mensch erfahren kann“. Auch zwei Gedichte zum Thema Armut las Oertel vor.
Ergänzt wurden Fragen und Antworten von mehrere Musikstücken aus der Dose – beschwingt bis melancholisch, arrangiert mit Klavier, Geigen, Klarinetten und Flöte. An einer Leinwand waren Bilder in Sepiatönen zu sehen. Das Motiv einer Frau, die auf der Straße lebte und ihren Schlafplatz in mit Graffiti beschmierten Fabrikhallen hat.
Sie ist der Ausgangspunkt für diese Lesung mit Musik und Bildern. Oertel traf die Frau 2008 in Leipzig. Er leitete damals die Bahnhofsmission. Täglich traf er Obdachlose und war beeindruckt von dem Reichtum, den diese im herkömmlichen Sinne armen Menschen besaßen. Auch die Frau km zu ihm in die Mission. Er nahm sie auf und bewahrte sie vor Schlimmeren. Später durfte er, der auch als Fotograf tätig ist, die Frau in ihrer Umgebung auf der Straße fotografieren. Die Bilder zeigte er in Ausstellungen.
Der Beginn eines besonderen Projektes. „Es haben mir Lehrer gesagt, so etwas müsse man in den Unterricht einbauen“. Schildert Oertel. Mit Berufsschülern entwickelte er Fragen für Interviews mit Obdachlosen in Leipzig und sammele dann deren Antworten in einem Buch. Das Buch und die Bilder nahm er mit nach Prag, wo Schüler sich davon zu Musikstücken inspirieren ließen. Zu der Musik, die in Erdmengers Salon zu hören war. Und auch die Gedichte sind in diesem Schülerprojekt entstanden. Jugendliche in einer Privatschule im kanadischen Montreal haben sie geschrieben, nachdem Oertel mit ihnen über sein Buch gesprochen hatte. „Sie kannten Obdachlosigkeit nicht. Ich habe mich beim Projekt mit den Kindern auf den Boden gesetzt, das kannten sie auch nicht“, berichtet der Leipziger.
Von diesen Erfahrungen berichtete Oertel bei seinem ersten Besuch in der kleinen Bachstadt seinem Köthener Publikum, das von dem Thema und der Art der Aufarbeitung sichtlich beeindruckt war.
Michael Oertel, der KÜNSTLER
Fotograf, Buchautor, Wortspieler
Michael Oertel lässt sich wohl am besten als Künstler beschreiben. Seit vielen Jahren ist der gelernte Schlosser und studierte Sozialpädagoge als Fotograf und Buchautor tätig. Als Autor widmet er sich vor allem Wortspielereien.
Das Buch „Edgars Welt“ ist neben Deutsch auf Englisch und Französisch erschienen. Das Buch, sagte Oertel scherzhaft, solle aber kein Bestseller werden. Vielmehr hat das mit den Projektteilnehmern aus Prag und Montreal, wo Französisch gesprochen wird, zu tun. Viele Schulen verwenden es inzwischen im Unterricht.
„Meine letzten Worte: Macht es besser“ ist das aktuelle Buch des Leipzigers. Es ist eine Sammlung von Weisheiten in Aphorismen und Sprüchen.
Korrekturen am/zum Artikel:
Mein „Fotomodel“ habe ich nicht in der Bahnhofsmission kennengelernt.
Die Frau war auch nicht obdachlos.
Die Fragen zu den Interviews habe ich entwickelt, die Berufsschüler haben sie beantwortet.
Das Buch „Edgars Welt“ ist dreisprachig erscheinen, nicht jeweils in Deutsch, Englisch und Französisch.
Mit Freude, Verantwortung und Liebe
S. Haase (Gesundheit und mehr, 12/2014)
Künstler Michael Oertel ist Vorleser am UKL und zaubert Kindern ein Lächeln ins Gesicht
Angst, Trauer, Langeweile, Wut – das sind die alltäglichen Gefühle der Kinder, die auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Linderung und Halt verschafft vor allem die besondere Zuwendung. Um Eltern dabei zu unterstützen, wird auf der Kinderintensivstation am UKL vorgelesen. Michael Oertel kommt mehrmals im Monat. Mit im Gepäck hat er Kinderbücher, Handpuppen und Musik und widmet sich damit aufmerksam einem kleinen Patienten oder einer kleinen Patientin.
Die dreijährige Emily sieht Michael Oertel nicht zum ersten Mal. Schon mehrfach hat er das Mädchen besucht, das die UKL- Kinderintensivstation von Geburt an kennt. Sie ist über ein Schlauchsystem an Apparate angeschlossen und kann sich so fast frei im Raum bewegen. Vom Fensterbrett holt sie das Buch, das er ihr beim ersten Mal geschenkt hat und klettert erwartungsvoll auf seinen Schoß um zu lauschen – der Geschichte von der Helfe Elfe Magda in Ostfriesland. Die passende Musik hat Emily vorher schon in den Rekorder einlegt.
Buch und CD stammen von Michael Oertel selbst. „Erdacht habe ich mir die Geschichte um Kindern die schwer krank oder behindert sind, zu unterstützen, trotzdem ihren eigenen Weg zu finden, zu gehen und sie wissen zu lassen, dass sie trotzdem und gerade wegen ihrer Besonderheiten gemocht werden“, erklärt der Künstler und Autor.
Emily gefällt besonders die Musik so gut, dass sie freudig durchs Zimmer tanzt. Später bringt sie eines ihrer Spiele und setzt sich mit Michel Oertel auf den Fußboden – damit er ihr nun erklären kann, welches Tier in welche Öffnung passt.
„Zuwendung ist wie Brot für die Kinder“, weiß Michael Oertel. „Sie ernähren sich von der Nähe und brauchen sie neben der medizinischen Versorgung, um überhaupt gesund werden zu können oder sich zumindest wohler zu fühlen.“ Er kennt aus eigener Erfahrung die hohe Belastung, wenn das eigene Kind schwerstkrank ist und behandelt werden muss. Als Vorleser ist er deshalb seit 2010 auf Intensivstationen von Krankenhäusern und in Hospizen unterwegs. Sein gemeinnütziger Verein Mehrweg e.V. widmet sich mit großer Leidenschaft dem Ziel, kranken Kindern aus Büchern vorzulesen und ihnen dabei gleichzeitig ein Gesprächspartner zu sein. Wer das Vorhaben durch Spenden oder aktive Beteiligung als Vorleser unterstützen möchte, ist herzlich willkommen.
Helfe-Elfe Magda in Ostfriesland: Ein summendes Plädoyer fürs Urlaubmachen
Ralf Julke (L-IZ, 15.03.2011)
Manchmal braucht es zum Glücklichsein gar nicht viel. Einen schönen langen Urlaub in Ostfriesland vielleicht und ein helles Gemüt. Und vielleicht die Fähigkeit, auf die großen Erwartungen, die tollen Erlebnisse, die gewaltigen Eindrücke verzichten zu können. Aber wer kann das schon? – Magda kann’s, die kleine Helfe-Elfe von Michael Oertel.
Nach modernen Maßstäben über Fun- und Action-Faktor erlebt sie im schönen Ostfriesland eigentlich nichts. Reineweg nichts. Sie liegt auf einer Wiese und erfreut sich einfach an den Farben des Leuchtturms. Dass im Leuchtturm ein zerstreuter, aber hilfsbereiter Leuchtturmwärter arbeitet, bekommt sie schon bald mit. Doch den ersten Einwohner des Landes mit den hohen Deichen trifft sie schon vorher – den Maulwurf Mauricio, einen Philosophen der gemütlichen Art, der in allem, was geschieht, nur das Positive sieht. Außerdem liebt er Kopfbedeckungen aller Art und wundert sich besonders häufig über den Leuchtturmwärter Herzog, der mal die Farben vertauscht beim Bemalen seines Turmes, mal die Blumensamen für seine Frau einfach verstreut auf dem Weg zum Turm.
Es tauchen die berühmten eisgierigen Möwen auf und ein ausgeruhter Autor erzählt auch, was eigentlich passiert, wenn ein Leuchtturmwärter ohne Toilettenpapier auf seinem Örtchen sitzt, während draußen eigentlich das Licht angeschaltet werden muss. Es liest sich so: Hier hat einer einfach seine gute Urlaubsstimmung genutzt und das aufgeschrieben, was einem beim Herumliegen auf Wiesen und Deichen so einfällt.
Wie reagieren die Fischer, wenn der Leuchtturm abends nicht angeht? Müssen sie auf dem Meer bleiben?
Und was passiert, wenn die Saison vorbei ist? Wenn das Eiscafé schließt und die Kinder nach Hause gefahren sind? Finden sich dann alle Schuhe wieder an, die hier den Sommer über verloren gingen? – Und was macht Mauricio, wenn es anfängt, stürmisch zu werden? Gräbt er sich ein? Ist dann nicht auch die Zeit für Magda gekommen, die ja eigentlich zum Helfen nach Ostfriesland gekommen ist – und nun hat sie die ganze Zeit nur zugeschaut, wie ihr Herzog einfach jedes Mal zuvorkam. Muss man da traurig sein? – Magda jedenfalls nicht: Noch einmal beschaut sie sich das wunderbare Land und dann fliegt sie, rechtzeitig, bevor es ungemütlich wird im Land mit den hohen Deichen, wieder Richtung Heimat.
Es ist nicht schlimm, wenn man nichts erlebt hat. Das ist, wie man sieht, nur schlimm für Leute, die auch in ihren freien Tagen beweisen müssen, dass sie nie unbeschäftigt sind, immer am Rotieren sind. Unausstehliche Leute eben. In diesem Kinderbuch kommen sie nicht vor. Es ist ein Buch über das Hinschauen und Zuschauen und den Moment genießen, über die Freude an den kleinen Dingen und den kleinen Vorkommnissen, die für manche Familien, die das nicht kennen, zur Urlaubskatastrophe werden. Denn zum Urlauben – das wusste ja schon Kurt Tucholsky – braucht man ein Talent. Oder ein ganzes Bündel Talente, von denen eines die schöne Kunst ist, über sich selbst zu lachen und über den unberechenbaren Malheuren des Tages nicht gleich wieder in Hader, Verzweiflung oder Griesgram zu verfallen.
Es ist also ein Buch auch für große Kinder, die ein bisschen Hilfe brauchen beim Ausschalten und Umschalten und Ent-Spannen. Die Worte kommen ja nicht ohne Grund alle aus der Technik und aus den ersten Erfahrungen mit einer völlig überdrehten Welt. Wer wie Magda nach Ostfriesland fährt, hat ja zumindest ein bisschen vor, aus dem Geratter und Gejage der üblichen Tage auszusteigen. Den Rest muss man dann meistens erst wieder lernen, zum Beispiel mit diesen Tagen umzugehen, an denen die ganze überdrehte Familie quängelt: Mir ist so öde! – „Sie erfreute sich einfach nur an dem geruhsamen Treiben und diesem herrlichen Sommertag.“ Das ist eine Kunst.- Und das Buch ist ein Plädoyer, ein dahingesummtes. So, wie man einen richtig langen Urlaub unterm Leuchtturm eben erlebt. Bis man wieder heimfliegen muss.
Eine Liebeserklärung – eigentlich an das Leben: Edgars Welt
Ralf Julke (14.02.2011)
Natürlich ist Michael Oertel etwas Besonderes – auch unter Leipzigs Sozialarbeitern. Nicht jeder geht wie er in Berufsschulen und fragt die jungen Leute, die da zuweilen schon ihre zweite Ausbildung absolvieren, was sie so denken über Liebe, Armut, Glück und Verrücktsein.
Er tut so etwas immer wieder, er kennt ja seine Schützlinge und Sorgenkinder. Er weiß, dass die manchmal Mutlosen in der Warteschleife im Grunde dieselben Freuden, Hoffnungen und Wünsche haben wie die Unbekümmerten auf der Sonnenseite des Lebens. Manchmal geht es nur um Geld. Manchmal um viel, manchmal um wenig Geld. Armsein verschafft Sorgen. Aber was ist wirklich Armut? Wer ist tatsächlich arm? – Die Antworten der jungen Menschen, die Michael Oertel danach fragte, verblüffen. Durch ihre Vielfalt und ihre Ernsthaftigkeit. Vielleicht denkt ein junger Mensch tatsächlich gründlicher nach über die Dinge, wenn das Geld auf dem Konto und das PS-starke Auto nicht selbstverständlich sind, wenn nicht jeder Wunsch einfach durch einen Gang in den nächsten Laden zu erfüllen ist und eine Wunscherfüllung manchmal lange braucht, bis man sich das Geld dazu zusammengespart hat.
Und wenn die schnelle Wunscherfüllung mit Papas Scheckkarte nicht geht, was dann? Wird man dann zum Eremiten? Oder fängt man dann nicht doch – wie all diese hier anonym antwortenden jungen Leute – an, darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist, was tatsächlich glücklich macht und was Liebe ausmacht und ausmachen kann.
Die Antworten stehen einfach so, wie sie da kommen, untereinander. Unkommentiert. Man muss sie auch nicht kommentieren – sie sprechen für sich. Auch jene, in denen die jungen Menschen nachdenken über die Frage: Was ist verrückt? – Ein Wort mit Tiefenschichten. Da fange mal einer an, drüber nachzudenken. „Wir sind doch alle mehr oder weniger etwas verrückt!“ weiß einer der jungen Autoren.
So ist es wohl. Und manchmal gehört nur ein bisschen Mut dazu, dazu zu stehen. So wie Michael Oertel, der schon seit Jahren mehr tut als seine Arbeit mit den Sorgenkindern der Stadt, die – siehe oben – eigentlich kein Grund zum Sorgenmachen sind, eher einer für mehr Sorge. Sie haben die meist praktizierte Verachtung und Rücksichtslosigkeit der Erfolgreichen nicht verdient.
Darüber denkt Oertel schon seit Jahren in verschiedenen Projekten nach. In seinen Büchern zum Beispiel: „Tagebuch eines Depressiven“, „Meine letzten Worte: macht es besser!“ und „Helfe-Elfe Magda in Ostfriesland“. Und in seinen Foto-Projekten, mit denen er seine Welt thematisiert – als Edgars Welt.
Fotos des ersten dieser Projekte, das auch als Wanderausstellung konzipiert ist. Eine andere heißt „Edgars Welt mit Sofa“. Weitere sind in Vorbereitung.
In dieser Bilderserie hier spielt eine schlafende Schönheit die Hauptrolle. Sie schläft nicht im Himmelbett, sondern unter einer dünnen Decke in einer leeren Fabrikhalle zwischen Pappkartons und Abfalltonne. Die Fotos sind mit Sprüchen aus Oertels Buch „Meine letzten Worte“ kommentiert. Man kann die Bilder jedes für sich nehmen – und einfach so kommentiert stehen lassen. Man kann auch die Bildergeschichte lesen. Denn natürlich erwacht die ein wenig ungewaschene Schöne, nimmt den Raum in Besitz und die verwilderte Wiese davor. Blumen kommen ins Bild, es ist unübersehbar Sommer. Das Glück kann manchmal ein ganz einfaches sein. Mit hübschen Margeriten im Gras, einem alten Sessel und zwei unverhofften Besuchern.
Jeder kann sich seine Geschichte dazu denken. Was man vermutet, muss nicht zutreffen. Wie das meist so ist, wenn man sich seine Urteile bildet über die Menschen, denen man begegnet. Man traut ihnen ja nicht wirklich zu, genauso talentiert zu sein für die kleinen, glücklichen Momente, für das Lieben- und das Verrücktseinkönnen.
Kann ja sein. Muss aber nicht. Und bei Oertel ist sie ernst gemeint, die „Liebeserklärung an die Armut“. Denn Armut kann auch heißen: frei sein von Gier, von unerfüllbaren Wünschen, von Neid und Missgunst. Armut kann ein Leben mit dem wirklich Notwendigen sein. Und ein Wieder-offen-Sein für die Schönheit des Lebens und die Momente der ehrlichen, weil nicht käuflichen Liebe.
Und da man sicher sein kann, das Michael Oertel einfach weitermachen wird mit seinen Projekten, ist alles gut.
Menschlichkeit für Kleine und Große
Über zwei aktuelle Projekte Michael Oertels
Roman Stelzig (Leipzigs Neue, Oktober 2010)
Michael Oertel ist ein reicher Mensch. Über seinen materiellen Besitz ist uns zwar wenig bekannt. Folgen wir aber seinem Motto, „Armut mit Liebe und Glück ist Reichtum!“, müssen wir feststellen: An Liebe und Glück besitzt Michael Oertel so viel, dass er sie großzügig und freimütig verschenkt.
Seine Liebe und anderen Glück bringt Michael Oertel nicht nur den (bedürftigen) Großen, sondern auch den Kleinen. Zur Seite steht ihm dabei die „Helfe-Elfe Magda in Ostfriesland.“ Sie, die eine nicht ganz normale Elfe ist, weil sie nicht Zaubern kann, hilft, wo sie nur kann, am liebsten dem vergesslichen Leuchtturmwärter Herzog und in Begleitung ihres Freundes, des Maulwurfs Mauricio. Manche unterhaltsame und nicht ganz ernst gemeinte Stunde bereiten die vier ihren kleinen und großen Zuschauern, Hörern und Lesern. Es sind Stunden des Glücks und Stunden der Einsicht. Denn, um es mit den Worten des Maulwurfs Mauricio zu sagen: „Das Ding ist ja das, dass“ die Helfe-Elfe Magda beinahe überflüssig ist, weil das Glück oft in den kleinen Gesten des Alltags verborgen liegt, die jeder zu schenken vermag.
Dass Schenken nicht an materielle Reichtümer gebunden sein muss, ist eine Botschaft des neusten Projektes Michael Oertels „Edgars Welt. Eine Liebeserklärung an die Armut, das Verrücktsein und an Dich!“ Mit Fotos und Aphorismen entführt uns der Künstler in seine Gedankenwelt und die Ästhetik der Armut. Arm, Mut und Art bilden die begriffliche Dreiheit, in deren Rahmen sich Michael Oertel der Ar(m)ut annimmt. Arm kann sein, wer Reichtum besitzt, mutig, wer sich im Armsein zum Menschsein bekennt, ein Künstler, wer das schöne im hässlichen sieht.
Seine Protagonisten sind nicht die Obdachlosen und Verelendeten auf Bahnhofsvorplätzen und in Hinterhöfen. Damit entgeht er dem Verdacht, Sozialromantik und Ästhetisierung der Armut zu betreiben. Denn die materielle Armut ist keine ästhetische, sondern eine politische Frage, ihr Ursprung liegt nicht in einer falschen Sicht auf den Menschen, sondern in einer falschen Verteilung des gesellschaftlichen Gesamtproduktes, sie ist eine Klassenfrage.
Zwar meidet Michael Oertel jede politische oder weltanschauliche Schlussfolgerung seiner Auseinandersetzung mit dem Armsein. Seine Sicht auf das Thema und den Menschen weist aber über den Zustand der heutigen Gesellschaft hinaus. Alle Klassenkämpfe und ihre politischen Ausdrücke dienen keinem Selbstzweck, sondern einem erreichbaren Ziel: Die Überwindung aller Verhältnisse, in denen „der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (Karl Marx) Dieses Ziel darf auch auf dem Weg, der ständigen Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen, nicht aus den Augen verloren werden. Denn wer sich zum Menschen bekennt, muss dies auch in den entwürdigenden Verhältnissen tun, in denen er die Menschen vorfindet und für deren Überwindung er kämpft.
In diesem Sinne bildet das Anliegen Michael Oertels zwar keine hinreichende aber eine notwendige Ergänzung zur Politik. Er unterhält uns, regt uns zum Nachdenken an und führt uns ein Abbild dessen vor, was alle Kulturströmungen der Menschheit uns zeigen möchten: Die Würde und Schönheit des Menschen.
Michael Oertel: „Helfe-Elfe Magda in Ostfriesland“, Engelsdorfer Verlag Leipzig 2010. ISBN: 978-3-8690-958-1
Michael Oertel: „Edgars Welt. Eine Liebeserklärung an die Armut, das Verrücktsein und an Dich!“, Edition PaperONE, Leipzig 2010. ISBN: 978-3-941134-58-4
Im Porträt: Michael Oertel
Im Portrait: Michael Oertel
Mdr-ARTOUR (14.10.2009)
Wie ein Sozialarbeiter seine Erfahrungen zu Kunst verarbeitet
Er ist Sozialarbeiter mit Leib und Seele. Zudem fotografiert er, schreibt, malt und musiziert. Und er ist nominiert für den Sächsischen Kunstpreis für Demokratie und Toleranz. Michael Oertel im Porträt bei „artour“.
Von Menschen wie ihm leben Städte wie Leipzig. Michael Oertel hat schon die Bahnhofsmission geleitet und einen Verein gegründet, er hat ein Integrationsprojekt auf die Beine gestellt und eine Menge Diskussionen geleitet. Klar, dass seine Mitbürger den überall umtriebigen Mann auch schon ins Stadtparlament gewählt haben. Doch dieses Kapitel liegt hinter ihm. Er ist Sozialarbeiter mit Leib und Seele. Zudem fotografiert er, schreibt, malt und musiziert. Er ist nominiert für den Sächsischen Kunstpreis für Demokratie und Toleranz. Für seine Foto-Ausstellung „Edgars Welt! Eine Liebeserklärung an die Armut, das Verrücktsein und dich!“, mit der er im vergangenen Sommer auf sich und sein Sujet aufmerksam machte.
Viele Gesichter der Armut
Es war eine künstlerische Umsetzung dessen, womit Oertel es tagtäglich zu tun hat. Mit Menschen nämlich, die durch Armut und Abgrenzung am Rande der Gesellschaft stehen, aber sehr wohl dazugehören. Seine berührenden Fotos – in Schwarz-Weiß oder Sepia, zum Teil auch mit wenigen farblich hervorgehobenen Stellen – sollen den Blick weiten, für Respekt sorgen und Vorbehalte abbauen. Denn Armut hat viele Gesichter, auch solche, in denen sich trotz allem Kraft, Schönheit und die Lust am Leben spiegelt. Und Armut gibt es überall. Oertels Bilder fanden derartig Zuspruch, dass Institutionen von weit her darum gebeten haben, sie ausstellen zu dürfen. Und so sind sie jetzt auf Reisen, von Frankfurt am Main, über Wien und Mailand bis hin nach Tartu in Estland und Prag.
In Leipzig haben wir Michael Oertel besucht und mit ihm über seine Erfahrungen gesprochen, die nun auch in ein Buch eingeflossen sind. „Tagebuch eines Depressiven“ heißt es und erscheint im Engelsdorfer Verlag. Sehen Sie „artour“ mit einem Porträt von Michael Oertel.
Durch wie viele Türen musst du gehen?
Elke Rath (Traffix JUNI 2010)
Michael Oertel überlässt nichts dem Zufall Michael Oertel, Jahrgang 1967, berät Frauen, die in eine missliche soziale Lage gekommen sind. Er fotografiert Frauen im Sonnenlicht, um ihre Schattenseiten zu zeigen. Er schreibt das „Tagebuch eines Depressiven“ und hält alltagstaugliche Sprüche in A5-Bändchen in kleiner Auflage für gute Freunde bereit. Seinen ersten Fotozyklus „Edgars Welt! Eine Liebeserklärung an die Armut, das Verrücktsein und Dich!“ zeigte er mit viel Herzklopfen in der Heilig-Kreuz-Kirche in Leipzig-Neustadt. Jetzt fanden diese Bilder im Sky-Dome in Wien großen Anklang, und sie machen sich bald auf den Weg nach Madrid. Der Sozialpädagoge selbst versucht derweil, allein erziehenden Muttis zu helfen, oder widerborstige Jugendliche wieder auf einen geraden Weg zu bringen. In seiner Freizeit fotografiert er nicht nur, sondern produziert gerade ein Hörbuch für Kinder mit Geschichten, Geräuschen und Musik. Die Stimme für seine „Helfe-Elfe“ Magda hat er lange nur als Vorstellung im Ohr, bis Sylvia seine Amtsräume betritt und ihm von ihrer gescheiterten Ehe, der fünfjährigen Charlotte und dem achtjährigen Anton erzählt. Beide Eltern lieben die Kinder, aber wie verhält man sich bei einer Trennung? Michael Oertel bleibt objektiv, schaut sich vor Ort um, kommt mit den Betroffenen ins Gespräch und versucht zu vermitteln. Vor allem für die Kinder muss das gewohnte Heim erhalten bleiben. Also setzt er sich für die „Mini-Familie“ ein, und hat letztendlich auch die Traute zu gestehen: „Ich suche für mein Hörbuch eine Stimme und ein Modell für meine nächste Fotoserie.“MENSCH. TÜR. LEERE. Das Gedicht des lettischen Schriftstellers Anatols Imermanis hat ihn fasziniert, und seine Freunde bat er, ihm zum Geburtstag eine Tür zu schenken. Die ist ziemlich kompakt und inzwischen leuchtend ROT.Dennoch schleppt er sie für einen Fototermin ins Grüne, macht erste Aufnahmen, um zu sehen, ob die Idee mit der Realität übereinstimmt.Michael Oertel ist Autodidakt und überrascht, wie die aus seiner Sicht unbeholfen erscheinenden Zeilen und später auch Bilder von anderen Menschen aufgenommen und interpretiert werden. In der Fotoserie „Edgars Welt“ zeigt er beispielsweise eine junge Frau, die leere Flaschen in einem Einkaufskorb sammelt, die zwischen Pappkartons schläft und mit traurigem Blick ein Kind in den Arm nimmt … Und da die junge Frau diese Augenblicke so oder ähnlich selbst erfahren hat, kommen die Bilder ziemlich authentisch rüber. Keine Schminke, keine Retusche ungeschönt werden die Bilder gezeigt. Oertel ist Amateur und arbeitet ausschließlich mit Amateuren. Das spricht an.Was aber will er selbst damit bezwecken? „Aufrütteln, zeigen, dass es im Alltag nicht nur eitel Sonnenschein gibt. Die Frauen und jungen Mädchen, die ich durch meine Arbeit im Jugendamt kennen lerne, haben oft einen erschütternden Lebensweg hinter sich. Aber sie wollen kein Mitleid, sie suchen Hilfe, um dem Schlamassel mit eigener Kraft zu entfliehen. Manchmal kann ich helfen, manchmal entscheiden sie sich anders. Es ist letztendlich ihre Entscheidung, ihr Weg.“ Der Sozialpädagoge, Autor und Fotograf selbst hat seinen gefunden. „Es gibt keine Zufälle“, ist er überzeugt. Eine Tür geht zu, eine andere auf. Und es macht neugierig, durch diese Tür zu treten und zu spüren, da draußen ist Leben, das auf mich wartet.“Im Herbst, so plant Oertel, will er zur Vernissage „Edgars Mensch. Tür. Leere.“ einladen. Dann werden wir mehr über die Tür, über Sylvia und über neue Visionen erfahren. Zunächst sehen wir aber im Sommer „Edgars Welt mit Sofa!“ im „Kowalski“.Elke Rath
Meine letzten Worte: Macht es besser! – Der zweite Streich von Michael Oertel
Ralf Julke (L-IZ, 27.12.2009)
Meine letzten Worte …
Wer etwas zu erzählen hat, der braucht eigentlich nur zu sammeln – irgendwann wird ein Buch draus. Oder zwei. Dann erfreut man seine Lesergemeinde aller paar Monate mit einer Neuerscheinung – so wie Michael Oertel, der im Oktober das Tagebuch eines Depressiven auf den Markt warf. Zu Weihnachten folgte der 2. Streich.
„Meine letzten Worte: Macht es besser!“ heißt das zweite Buch des Leipziger Diplom-Sozialpädagogen und -arbeiters Michael Oertel. Angestachelt zur schnellen Publikation hat ihn der Erfolg seines Erstlingswerks „Tagebuch eines Depressiven“.
„Meine letzten Worte: Macht es besser!“ ist eine umfängliche Sprüche- und Aphorismensammlung, die Oertel über zwei Jahrzehnte aufgeschrieben hat. Diese sind letztlich unter den Rubriken „Liebe“, „Glaube, Hoffnung, Träume …“, „Skurriles“, „Weisheiten“, „Leben & Sterben“ und „Gesellschaft“ im Buch nachzulesen.
Ob Sportler, Showstars und Politiker: Sprüchen klopfen heute alle. Mit seinem Buch scheint Oertel genau in diese Kerbe zu schlagen, aber er schlägt nicht im Takt des Mainstream, nicht im Takt der Inhaltslosigkeit. Er schlägt mal sanft, mal derb, er schlägt mal nachdenklich, mal humorvoll, er schlägt mal entfesselt und mal fesselnd. Das Buch steckt voller in Sprüche und Aphorismen gefassten Weisheiten, das sind Sprüche und Aphorismen nicht für Jeden und nicht für jeden Tag.
Derzeit arbeitet Michael Oertel an einem weiteren Buch, einem durchgängig bebilderten Kinderbuch mit dem Titel „Helfe-Elfe Magda in Ostfriesland“ und er bereitet sich auf die erste große Fotoausstellung in Wien vor, die am 18. März 2010 mit einer großen Vernissage im Skydome eröffnet werden wird.
Michael Oertel „Meine letzten Worte: Macht es besser!“, 55 Seiten, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2009, 6,90 Euro
Den Blick auf die Armut lenken
Annika Falk (SONNTAG vom 30. August 2009)
Der Verein „Stadtteilakzent“ betreibt im Leipziger Osten kirchlich3 Integrationsarbeit
Im Leipziger Osten wohnt man nicht, lautet ein Vorurteil. Dass es sich um ein Problemstadtviertel handelt, will Stephan Lübke nicht hören. Er spricht von einem Sanierungsgebiet und „hoher Internationalität“, will aber nicht verneinen, dass viele Bewohner des Einzugsgebietes der Heilig-Kreuz-Kirche in Neustadt-Neuschönfeeld von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind.
„Das ist eine große Hürde für Integration“, sagt der Kirchenvorstand des Schwesterkirche von St. Thomas. Seit drei Jahren betreut er das Projekt „Stadteilakzent“.
In den vergangen Jahren fanden Straßenmusikfestivals und Flohmärkte statt. Eine Mütterberatungsstelle wurde eingeführt, Sozial- und Integrationsarbeit betreiben, Ferienprogramme angeboten. „Wir brauchen als Kirche auch die Kontakte nach draußen“, so Stephan Lübke. „Wir können einen Entkirchlichung im Stadtteil feststellen.“
Sein aktuelles Projekt heißt „Wähle deine Art zu leben“, bei dem Leute ermutigt werden sollen, zur Wahl zu gehen, aber auch über ihren eigenen Lebensentwurf nachzudenken. Die Plakataktion gibt es in deutsch, türkisch, russisch, arabisch und vietnamesisch – diese Sprachen sprechen die meisten Bewohner von Neustadt-Neuschönefeld. Langsam trägt die Arbeit Früchte.“Aber wir brauchen einen langen Atem“, so Lübke.
Auch der Kontakt zu Michael Oertel ging aus der Arbeit hervor. Mit seine Ausstelluung „Edgars Welt! Eine Liebeserklärung an die Armut, das Verrückstein und dich!“ will der ehemalige Stadtrat die Aufmerksamkeit auf das Thema Armut lenken. Schon öfter hat sich der Sozialarbeiter und Gründer des Vereins Mehrweg , der sozial benachteiligten Menschen hilft, an Aktionen in der Heilig-Kreuz-Kirche beteilig5t.
Als das Kulturamt auf seine Nachfrage, wo er seine Fotos ausstellen könne, die Heilig-Kreuz-Kirche nannte, war er begeistert. „Kein anderer Platz passt räumlich und inhaltlich so gut“, sagt Michael Oertel.
Seine Fotos sind bereits für den „1. Sächsischen Kunstpreis für Demokratie und Toleranz“ nominiert. Am Sonntag, 30. August, sind sie von 10.30 bis 14 Uhr während des „Neustädter Frühstücks“ und am 12. September zur Nacht der offenen Kirchen von 18 bis 22 Uhr zu sehen.
Warum alte Bettbezüge hermüssen
Angelika Raulien (LVZ vom 4. August 2009)
Leipziger Michael Oertel kreiert seine erste Fotoschau zum Thema Armut – und erregt bereits international Interesse
Michael Oertel ist hier zu Lande wohl vielen ein Begriff: Der umtriebige Leipziger saß bereits für die Bündnisgrünen im Stadtrat, leitete früher auch mal die Bahnhofsmission, gründete und steht dem Mehrweg-Verein inklusive dessen Integrationsprojekt Mitspielzeugmuseum vor, das seit Jahren am Friedhofsweg viele kleine und große Besucher begrüßt. Am 13. August nun, um 19.30 Uhr, wird die erste Fotosausstellung des Sozialpädagogen in der Heilig-Kreuz-Kirche am Neustädter Markt eröffnet. Sie trägt den Titel: „Edgars Welt! Eine Liebeserklärung an die Armut, das Verrücktsein und dich!“
Die an der Kirchgemeinde angebundene Initiative Stadtteilakzent und der Fotograf wollen mit der Schau auf ein facettenreiches Thema, die Armut, aufmerksam machen. Den Blick weiten. „Armut hat ganz viele Gesichter, ist nicht automatisch mit Asozialität gleich zu setzen. Arme Menschen haben Ressourcen. Sie verdienen den gleichen Respekt, wie alle anderen Menschen auch. Und Armut darf nicht zu Ausgrenzung führten. Doch ist das möglich? Es lohnt sich, über diesen Fragen immer wieder neu ins Gespräch zu kommen. Und dazu soll die Ausstellung auch anregen“, so Oertel. Die Fotos zeigen (in schwarz-weiß oder sepia, teils auch mit farbigen Ausschnitten beziehungsweise einzeln hervorgehobenen Gegenständen) etwa ein Abbruchhaus mit darin – scheinbar – armen Menschen. Dazu sind einige Accessoires zu sehen. „Eine Leidenschaft des armen Menschen könnte also das Sammeln von Luftballons sein oder auch das Vorlesen, um Freude zu bereiten und Anerkennung zu erhalten“, so Oertel. Vorbehaltlos aufeinander zugehen, das sei hier die Überschrift. Jeder habe seine Defizite, aber eben auch ganz viele Fähigkeiten. Dies gelte es zu erkennen. Und so ist denn auch auf den Fotos (fast) nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint. Es lohnt sich zweimal, dreimal … hinzuschauen.
Dass Oertels Bildergalerie das Anliegen offenbar tatsächlich zu „transportieren“ vermag, beschert ihm jetzt zusätzlich ein Problem. „Ich suche händeringend alte Bettbezüge“, verrät er quasi hinter vorgehaltener Hand. Und seine Freunde sind auch schon eifrig am Sammeln. Denn Oertels Erstlings-Schau ist bereits international gefragt, so dass die Arbeiten bald schonend für die Transporte verpackt werden müssen. „Armut ist eben nicht nur bei uns ein Thema. Durch die Zusammenarbeit mit einem Verein für Obdachlosigkeit in Innsbruck gibt es von da den Wunsch, sie dort zu zeigen“, sagt Oertel. Und eigentlich müsste er noch hinzufügen, dass es inzwischen auch Anfragen beziehungsweise teils schon Termine aus Mailand, vom Deutschen Kulturinstitut in Tartu (Estland) sowie der Deutschen Sonntagsschule der Kirchgemeinde in der amerikanischen Partnerstadt Houston gibt. Nicht zuletzt ist die Oertel-Schau auch für den Sächsischen Kunstpreis für Demokratie und Toleranz nominiert, worüber Ende Oktober die Entscheidung fallen soll.
Zunächst einmal können die Arbeiten aber in Leipzig betrachtet werden. Die Vernissage am 13. August – laut Oertel ohne Sekt, aber mit spritzigen Redebeiträgen und feiner Musik – wird die Besucher der Galerie auf die Ausstellung und die Thematik einstimmen. Zu sehen ist die Schau dann am Montag, Donnerstag und Freitag jeweils von 10 bis 12 Uhr, sonntags nach dem Gottesdienst etwas von 10.30 bis 11.30 Uhr. Auch am 30. August zum Neustädter Frühstück (10.30 bis 14 Uhr) sowie am 12. September zur Nacht der offenen Kirchen (18 bis 22 <Uhr) wird es Gelegenheit zum Betrachten geben.
Übrigens: Die Fotos werden auch käuflich zu erwerben sein. „Das Geld“, so Oertel, „ist teils für neue Projekte, teils für ein Kind bestimmt, dass in einer schwierigen finanziellen Situation lebt und für das ich die Patenschaft übernommen habe“.
Michael Oertel liest eigene Texte
Angelika Raulien (LVZ vom 6./7. Juni 2009)
Veranstaltung im Gemeindehaus Stötteritz
Michael Oertel, der den Leipzigern als Vorsitzender des Vereins Mehrweg sowie als Mitbegründer und Leiter des Mitspielzeugmuseums bekannt ist, wird am 11. Juni ab 20 Uhr eigene Texte und Gedankensplitter zum Besten geben – im Rahmen einer kleinen Lesung unter der hochwissenschaftlichen Überschrift „Nm = MG – (TM RM)“. – Depression(en) für Fortgeschrittene“. Gelesen werden Kapitel und Abschnitte aus dem „Tagebuch eines Depressiven). Das Vorgetragene werde „die Palette des bittersüßen Sarkasmus bis zu (alltags-)politischen Erkenntnissen abdecken“, verspricht Oertel. Und bei aller Schwere und Schwermut des Themas seien die Texte eine Hommage an das Leben, die Liebe und das Verrücktsein.
Die Veranstaltung findet im Gemeindehaus der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde Stötteritz, Dorstigstraße 5, statt. Zu erreichen mit der Straßenbahnlinie 4 und den Buslinien 74 und 79´m, Haltstelle Kolmstraße. Der Eintritt ist frei, um eine Spende zur Deckung der Unkosten wird gebeten.